In der Verkehrsforschung wurde in den letzten Jahren das Makroskopische Fundamentaldiagramm (MFD) entwickelt. Behörden und Verkehrsplanenden steht damit ein neues Instrument zur Beschreibung des Verkehrszustandes zur Verfügung. Doch wie gut eignet sich das MFD für den Einsatz in der Praxis? Um diese Frage zu beantworten, hat EBP für die Innenstadt von St.Gallen ein MFD erstellt und interpretiert. Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern von Verkehrsplanungsbehörden haben wir die Aussagekraft des Instruments eingeschätzt und mögliche Anwendungsbereiche diskutiert.
In dichten städtischen Räumen trifft eine hohe Verkehrsnachfrage auf ein beschränktes Strassenangebot. Vor allem in Spitzenstunden sind heute viele städtische Knoten überlastet. Für einzelne Knoten können die Leistungsfähigkeit und die Verkehrszustände schon heute gut beschrieben werden. Für gesamte Strassennetze gab es bisher aber keine zweckdienliche Methodik. Das MFD schafft hier Abhilfe. Im Gegensatz zum Fundamentaldiagramm einer einzelnen Strecke berücksichtigt das MFD Wechselwirkungen und Ausgleichsmechanismen im Strassennetz: Bei Überlastung eines einzelnen Knotens stehen im System allenfalls Alternativrouten zur Verfügung, die nicht überlastet sind.
Einfach interpretierbare Übersicht
Das MFD beschreibt die Beziehung von mittlerer Fahrzeugdichte [Fz/km] und mittlerem Verkehrsfluss [Fz/h] eines Strassennetzes in einem definierten Perimeter. Trägt man die verkehrlichen Messdaten der betrachteten Fahrspurabschnitte über längere Zeit im Diagramm ein, lässt sich damit eine netzspezifische Kurve berechnen (im Diagramm blau dargestellt). Mit Hilfe dieser Kurve ist eine Unterscheidung möglich, ob ein beobachteter Netzzustand stabil («flüssiger Verkehr», grüner Bereich) oder instabil («Stau», roter Bereich) ist.
Anwendung des MFD am Beispiel St.Gallen
Um ein MFD auf Basis von Detektordaten zu erstellen, hat EBP eine Auswertungsmethodik erarbeitet. Diese haben wir für die Stadt St.Gallen angewendet sowie plausibilisiert. Die St.Galler Innenstadt weist in den Spitzenstunden auf einigen Abschnitten eine besonders hohe Stauwahrscheinlichkeit auf.
Mit GIS-Werkzeugen haben wir das St.Galler Strassennetz vereinfacht und den Innenstadt-Perimeter festgelegt. Dieser umfasst eine Fläche von rund 1.1 km2 und 125 Fahrspurabschnitte. Das städtische Tiefbauamt stellte für die Untersuchung hochaufgelöste Messdaten von über 270 Detektoren zur Verfügung, die den Monat September 2017 abbilden. Die Lage der Detektoren in Relation zu den Knoten haben wir in der Auswertungsmethodik berücksichtigt.
Das resultierende MFD ist in der folgenden Abbildung dargestellt: Mit der errechneten Regressionskurve (blau) lassen sich die maximale Netzleistungsfähigkeit sowie die Verkehrszustände im St.Galler Strassennetz bestimmen. Ergebnis: Die Innenstadt von St.Gallen befindet sich während der meisten Zeit im stabilen, linken Bereich der Kurve. Es treten aber auch Verkehrszustände im instabilen, rechten Bereich auf (rote Punkte).
Vielseitige Anwendungen für verschiedene Zielgruppen
Die Resultate dieser Pionieranwendung eines MFD haben wir mit verschiedenen städtischen und kantonalen Verkehrsbehörden diskutiert. Dabei konnten wir folgende Anwendungsfälle herausarbeiten, bei denen das MFD in der Praxis nützlich sein kann:
- Monitoring von Strassennetzen bezüglich Stauzuständen, Verkehrsqualitäten, Staustunden, Fahrzeitveränderungen, Reisegeschwindigkeiten oder Fahrleistungen
- Indikator bei der Priorisierung von Infrastrukturmassnahmen
- Netztopologische Analysen in Variantenstudien (Simulation)
- Kalibration von Simulationsmodellen
- Basis, um Dosierungsparameter in der Verkehrssteuerung zu bestimmen
Das MFD stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, um Strassennetze zu betrachten. Mit dem Versuch, für die Stadt St.Gallen ein MFD aus Detektordaten zu erstellen, wird der Informationsgehalt deutlich. Mit unserer Methode ist es möglich, mit geringem Aufwand das Verkehrsgeschehen innerhalb eines Perimeters nutzbringend zu beschreiben und künftig auch in Echtzeit zu überwachen.